Simone Neteler (links) und Dr. Friedericke Reents (Foto: Randau)

Der Abend begann mit einem Vortrag, in dem die Vertraute von Walter Kempowski den Beginn ihrer Zusammenarbeit mit dem Autor darlegte, die gemeinsame Arbeit am Echolot illustrierte und ebenso interessante wie vergnügliche Anekdoten aus mehr als 20 Jahren an seiner Seite zum Besten gab. Schon als Teenager machte Neteler die persönliche Bekanntschaft Kempowskis, der einer Einladung der damals 17-jährigen zum privaten Kaffeekränzchen gefolgt war, ein Ereignis, das Neteler als „schicksalshaft“ charakterisierte – und das die damalige Schülerin nicht wenig erstaunte. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er wirklich kommt – und als es dann soweit war, habe ich Mitschüler gebeten, an dem Treffen teilzunehmen“, so Simone Neteler. Für Erheiterung sorgte beim Publikum, dass Walter Kempowski nicht nur vorher genau mitteilte, was er mag („Kaffee und Kuchen“), sondern den Schülern zu Beginn des Nachmittags erst einmal einige Prüfungsfragen zum eigenen Werk stellte. Als die dann erfolgreich beantwortet waren, stand einem netten Plausch nichts im Wege. Von Netelers Engagement und ihrer Begeisterung für sein Werk war Kempowski dann so angetan, dass er die junge Frau zu seinem „Sommerclub“ nach Nartum einlud, bei dem die gegenseitige Sympathie zementiert und der Grundstein für die folgende Zusammenarbeit am Mammut-Projekt Echolot gelegt wurde. An diesem gewaltigen kollektiven Kriegs-Tagebuch war Neteler dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin ganz wesentlich beteiligt. In zahlreichen Archiven recherchierte sie Texte, die später Aufnahme in das Werk fanden. Nicht immer waren diese Archivreisen von Erfolg gekrönt – das Adenauer-Archiv etwa, in dem sich Neteler sogar für des Kanzlers altes Stopfei begeistert zeigen musste, stellte letztlich nur einen Brief zur Verfügung.
Neben diesen Recherchen wertet Simone Neteler mit Walter Kempowski auch die zahllosen eingesandten Tagebücher, Briefe und Fotos aus – Kempowskis „Archiv unveröffentlichter Biographien“ wuchs, auch dank regelmäßiger Anzeigen in der „Zeit“, ständig.
Neteler erinnerte sich, daß die Zusammenarbeit mit dem eigenwilligen Autor nicht immer einfach und sie nicht immer einer Meinung waren – etwa was die Transponierung, also die Einsortierung einzelner Dokumente unter ein anderes Datum im Echolot anbelangt. Während Kempowski der Ansicht war, dass eine solche Verschiebung von Dokumenten – wenn nachweislich die darin beschriebenen Zustände allgemeingültig und nicht zeitabhängig waren – begründet sei, sah Neteler darin in gewisser Weise einen Bruch der Authentizität. Man einigte sich schließlich, dass die Transponierung bei einem ganz kleinen Teil der Texte möglich sei, man allerdings darauf hinweisen müsse, dass es so etwas im Echolot gebe. Einzeln ausgewiesen wurden die transponierten Texte indes nicht.
Als Grundvoraussetzung für die fruchtbare Zusammenarbeit mit Kempowski nannte Simone Neteler mehrfach die „Humor-Kompatibilität“ zwischen ihr und dem Schriftsteller: Beide konnten sich zum Lachen bringen, wenn Andere irritiert oder gar persönlich beleidigt reagiert hätten. Die Arbeit in der „Dichterwerkstatt“ sei sicher nicht für Jedermann und ganz sicher nichts für „sensible Gemüter“ gewesen, so Neteler – dennoch war ihr die persönliche Rührung anzumerken, als sie über die persönliche Betreuung durch Begegnung und Gespräch mit den im Echolot zitierten Zeitzeugen referierte.
Das sich dem Vortrag anschließende Gespräch wurde von Dr. Friederike Reents (Universität Heidelberg) charmant und mit großem Sachverstand moderiert. Die Literaturwissenschaftlerin scheute dabei auch nicht vor persönlichen Fragen zurück, die etwa die Herkunft des „Löwenheckerchens“ aus Hundstage in neues Licht rückten. Frau Neteler erläuterte in diesem Zusammenhang, dass zwar einer ihrer Spitznamen bei Kempowski „Löwenheckerchen“ gewesen, die literarische Figur freilich aus mehreren Personen zusammengesetzt sei.
Die große Herzlichkeit von Frau Neteler ermutigte zahlreiche Besucher, ihrerseits die Gelegenheit zu nutzen, Fragen und Anmerkungen an diese zu richten. So wollte eine Kempowski-Leserin wissen, warum der Autor – trotz der ohnehin vorhandenen Platzprobleme – beim Echolot nicht gänzlich auf bereits publizierte Quellen verzichtet und stattdessen nur auf die unbekannten Dokumente gesetzt habe. Frau Neteler erläuterte, dass man dies diskutiert habe, letztlich aber zur Überzeugung gelangt sei, dass man damit zu viele wichtige Stimmen im Diskurs ignoriere. Letztlich führte dies aber – so berichtete die Fragestellerin auch selbst – nicht selten dazu, dass Echolot-Leser für sich natürlich auch unter bereits publizierten Texten Neues entdeckten und dann diesen Stimmen sogar anschließend ganz folgen konnten.
Eine weitere Frage war, ob sich einzelne der „Tagebuch-Spender“ geweigert hätten, dass Auszüge aus ihren zum Teil doch sehr privaten Aufzeichnungen in das Echolot aufgenommen würden. Die Referentin betonte, dass dies nicht der Fall gewesen sei – allerdings hätten manche der Autoren auf Anonymisierungen (entweder ihrer selbst oder der in den jeweiligen Auszügen thematisierten Personen) bestanden. Auch Honorare seien – bis auf einen einzigen Fall – nicht bezahlt worden.
In bewährter Manier ließen zahlreiche Besucher den Abend dann nach über eineinhalb Stunden Vortrag und Gespräch noch zusammen in der Heidelberger Altstadt ausklingen.
 

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