Hildegard Kempowski bei der Hausführung mit Ministerpräsident McAllister
(Foto: Randau)
Hildegard Kempowski begrüßte die rund achtzig geladenen Gäste in aller Kürze: „Wir stehen hier auf dem festen Fundament der geistigen und psychologischen Leistung des Künstlers und Menschen Walter Kempowski – mehr ist von mir aus nicht zu sagen.“
Es ist ein Grund zu feiern, daß dieses feste Fundament nunmehr für die absehbare Ewigkeit zementiert ist. Bei der Stiftungsgründung 2005 verfolgten die Kempowskis das Ziel, Haus Kreienhoop als literarisches Zentrum, als Begegnungs- und Veranstaltungsort ebenso wie als historische Gedenkstätte zu erhalten und zu nutzen.
Das Land Niedersachsen fördert die Kempowski-Stiftung mit einer Zustiftung in Höhe von 600.000 Euro. Weitere Zustiftungen in Höhe von jeweils 300.000 Euro erfolgen durch den Landkreis Rotenburg/Wümme und die Gemeinde Gyhum. So wird bis zum Jahr 2013 das ursprüngliche Stiftungskapital vermehrt und die Arbeit der Stiftung nachhaltig gesichert werden.
„Das ist aus meiner Sicht gut investiertes Geld“, urteilte Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister, der in seiner Ansprache nicht nur die Bedeutung Walter Kempowskis für die nationale und internationale Literaturgeschichte, sondern auch die Verdienste des Autors für seine Heimat hervorhob und dabei betonte, Niedersachsen könne stolz auf Walter Kempowski sein. Schon Christian Wulff, sein Vorgänger im Amt, betrachtete es als ein persönliches Anliegen, Haus Kreienhoop als Kulturstätte zu erhalten und sicherte Kempowski seine Unterstützung zu. McAllister hat dieses Versprechen seines Vorgängers nun wahr gemacht, mit der Unterstützung von Vertretern aus Landtag und Gemeinderat, die ihn zum Festakt nach Nartum begleiteten. Friedhelm Helberg, Bürgermeister der Gemeinde Gyhum und Vertreter des Stifungsvorstands, dankte den zahlreichen Unterstützern der Zustiftung, versäumte es aber auch nicht, sein Bedauern über die fehlende Kooperationsgemeinschaft der Samtgemeinde Zeven auszudrücken. Daß Haus Kreienhoop als einer der bedeutendsten Künstlerorte in Niedersachsen eine wichtige Rolle für die Umgebung spielen wird, steht außer Frage.
Kempowski selbst erachtete sein Anwesen als Teil seines Lebenswerks. Über die zahlreichen Um- und Anbaumaßnahmen habe er sich „genauso viele Gedanken gemacht wie über jeden meiner Romane“. Das allmähliche Entstehen und Anwachsen des Hauses, alles nach wohlüberlegten Entwürfen und Arbeitsplänen, die Heterogenität der Bausubstanzen und Architektur- und Einrichtungsstile und nicht zuletzt die eigenwilligen Gestaltungselemente, die Haus Kreienhoop zu einem unverwechselbaren Unikat machen, sind in der Tat mit Kempowskis Arbeitstechniken von Collage und Montage vergleichbar. Ordnendes Strukturelement – bei Texten wie beim Gebäude – ist dabei niemals eine etablierte oder gar modische Stil- oder Formvorlage, sondern nur das breite Interesse des Autors, sein daran geschultes Auge für Details und Marginalien, seine Überzeugung, aus diesem bunten Nebeneinander könne mit Fleiß und gutem Willen ein Miteinander und Füreinander entstehen. Kempowski nennt Haus Kreienhoop „eine Mischung aus Gutshaus, Kloster, Höhle und Schule“ – pointierte Bezeichnungen für den hybriden Charakter des Hauses, das aus öffentlichen Räumen (öffentlich auch in Hinsicht auf die Architektur, die hier mit Fensterfronten, Spiegeln und Glasdächern Öffentlichkeit erzeugt) und privaten Fluchtburgen besteht; gleichzeitig evozieren sie Vorstellungen von Sehenswürdigkeit und Repräsentation, von Bodenständigkeit, Arbeit und inszenierter Ernsthaftigkeit.
„Was gibt es ernsteres, als über ein Haus zu schreiben?“ lautete im Anschluß einer der Sätze Kempowskis, über die Hanns-Josef Ortheil seinen Festvortrag hielt. Zehn Sätze und ihre Hintergründe reichten dem Professor vom Literaturinstitut Hildesheim, um einen ebenso informativen wie unterhaltsamen Blick auf Leben und Werk Kempowskis zu werfen.
Der anschließende Empfang bot allen Gästen die Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen, privaten Erkundungsgängen im Haus und stellte außerdem wieder einmal die großzügige Gastfreundschaft von Hildegard Kempowski unter Beweis.
Abschluß der Veranstaltung bildete eine Lesung; lokale Gäste nutzten die Gelegenheit, die von den politischen Honoratioren inzwischen geräumten Sitze im Saal einzunehmen. Professor Ortheil stellte seinen jüngsten Roman vor, „Die Erfindung des Lebens“. In diesem autobiographischen Roman schildert Ortheil (s)eine Kindheit und Studienzeit als Entwicklungsgeschichte eines Künstlers, der die traumatischen Erinnerungen der eigenen Familie überwinden muß. Im Rahmen der Lesung verstand er es trefflich, die eindringliche Handlung seines Romans solcherart zu umreißen, daß sich weder Bedrückung über die nicht immer heiteren Passagen einstellte, noch zukünftigen Lesern die Freude an der spannenden Lektüre genommen wurde. Dem herzlichen Dank Hildegard Kempowskis an Herrn Ortheil gilt es, sich an dieser Stelle anzuschließen und natürlich ihn auf die Gastgeberin selbst auszudehnen.